Christian Bachler im Gespräch mit Christina Aumayr-Hajek über sein Leben, seinen Hof, seine Schulden und die Angst, seine Existenz an die Bank zu verlieren.
Wie begann eigentlich Deine Geschichte mit dem höchstgelegenen Bergbauernhof der Steiermark?
Klassisch. Ich war der älteste von zwei Buben und habe den Hof mit 20 Jahren direkt nach der Schule und Ausbildung übernommen. Ich war im Dauerclinch mit meinem Vater, weil ich alles anders machen wollte. Mehr Produktivität und endlich wieder investieren. Ich wollte richtig Gas geben, und ich wusste, wir müssen investieren, sonst stagnieren wir. Ich habe keinen Bergbauernhof übernommen, um den Stillstand zu verwalten, sondern um Bäume auszureißen. Heute würde ich von Beginn an alles anders machen.
Hast Du den Bergbauernhof bereits mit Schulden übernommen?
Nicht mit Schulden, aber mit einem großen Investitionsrückstau. Damit ist der erste Kredit vorprogrammiert, weil unser Hof nicht genug abwirft, um aus dem Ertrag heraus zu investieren. Wer in der Landwirtschaft investiert, hat davor entweder Grünland in Bauland umgewidmet und verkauft, oder er geht zu Raiffeisen, und Raiffeisen gibt einen Kredit. Eine dritte Möglichkeit hat mir noch keiner vorgehüpft. Als ich den Hof übernommen habe, waren unser Fuhrpark und der Stall desolat, an Tierwohl ist bei einem alten Stall aber nicht mehr zu denken. Also habe ich die notwendigen Maschinen gekauft, den Stall modernisiert und in eine Melkanlage investiert.
Wie war Deine Idee von Landwirtschaft, wie würdest Du die Stimmung damals beschreiben?
Größer, weiter, schneller. Dieses Denken prägt bis heute die konventionelle Landwirtschaft. Die gesamte Agrarpolitik basiert auf Quantität vor Qualität, gefördert wird nach Größe, Kontingenten und Obergrenzen. Als Bauer eines konventionellen Betriebs kannst du hier nur ständig nachhüpfen, um die geforderten Obergrenzen zu daglengen, sonst fällst du durchs Förderschema. Ein Nachbar gab 2004 seinen Hof auf, und wir haben einen Teil seiner Grundstücke gekauft. Ab 2006 begannen wir uns auf Milchkühe zu spezialisieren, zuerst nur 35, dann 70 Kühe. Laufend wurden uns Investitionsförderungen versprochen, die Kredite wurden uns Bauern nachgeworfen. Immer mit dem Sound von Raiffeisen und Bauernbund, wer nicht investiert, bleibt auf der Strecke. Was stimmt, aber man bleibt als kleiner Bergbauer in dieser Maschinerie immer auf der Strecke.
Wann wurde Dir zum ersten Mal bewusst, dass sich das nicht rechnen kann?
2009 kam die erste Milchpreiskrise mit einem dramatischen Preisverfall. Wir haben beim ersten Kredit 32 Cent netto pro Liter Milch kalkuliert, damit sich unser Betriebskonzept rechnet. Plötzlich rasselte der Milchpreis auf 23 Cent netto pro Liter Milch. Das sah nicht gut aus. Davor lag der Milchpreis bei rund 40 Cent netto pro Liter.
Das war aber nicht der einzige Rückschlag …
Nein, eine Katastrophe kommt selten allein. 2009 wurden die Almflächen neu berechnet, das hatte zur Folge, dass mit einem Schlag für einen Großteil der Almfutterflächen keine Fördergelder mehr ausbezahlt wurden. Das war dramatisch, weil wir das Fördergeld zur Schuldentilgung kalkuliert hatten. Dann hagelte es Rückforderungen der Agrarmarkt Austria. Durch die offenen Rückforderungen der Agrarmarkt Austria wurden keine Förderungen mehr ausbezahlt. Also wieder ein Kredit.
Wie ging es dann weiter?
Gar nicht mehr. Ich war am Ende meiner Fahnenstange. Am Land redet man nicht über Krisen, Männer schon gar nicht. Heute kann ich sagen, ich war mit meiner Belastbarkeit am Ende und in einer tiefen Krise. Das hatte aber etwas Gutes. In der Krise fing ich zu lesen an. Mit dem Lesen kam das Nachdenken über das, was ich da eigentlich mache. Wie ich Landwirtschaft lebe. Da dachte ich mir zum ersten Mal, dass wir doch einen kompletten Vogel haben. Wir füttern auf 1.450 Meter Seehöhe Eiweißfutter aus Übersee und halten 950 Kilo schwere Milchkühe, die sich auf unseren Almen kaum mehr bewegen können, weil sie zu schwer sind. Wir hackeln rund um die Uhr, um für unsere hochgezüchteten Nutztiere eine künstliche Umgebung bei maximalem Ressourcenverbrauch zu schaffen, statt heimische Viecher bei geringem Ressourcenverbrauch in einer natürlichen Umgebung zu halten. Blöder geht’s eigentlich gar nicht.
Was war Deine Rettung?
Zwei Mangalitza-Ferkel und ein Buch über alte heimische Tierrassen. Die zwei Ferkel hat mir damals meine Freundin geschenkt und damit einen Prozess ausgelöst, der bis heute anhält. Ich habe viel über alte Rassen, den Klimawandel und die Almwirtschaft gelesen. Mit Bio-Landwirtschaft und Direktvermarktung stand ich bis dahin ja auf Kriegsfuß. Diese Bedenken habe ich über Bord geworfen. 2013 kam die erste Dürre, und wir haben mit Hausschlachtungen und Direktvermarktung begonnen. Mein Tierarzt hat sich jedes Jahr einen neuen Jeep gekauft, während meine Schulden gewachsen sind. Warum? Weil Tierärzte mit gestressten Tieren gut verdienen. Die Gewinnspanne auf Antibiotika ist nämlich attraktiver als auf natürliches Grünlandfutter. Eine heimische Almkuh wiegt nur 650 Kilogramm und kommt mit der Alm zurecht. Eine Kuh, die sich bewegt, bleibt auch gesund. Und wer selbst schlachtet und vermarktet, braucht keinen Zwischenhandel mehr. Wir haben alles umgestellt. Dieses Wachsen in der Masse ist dumm, wir müssen in der Wertschöpfung wachsen!
Wie startet man eine Direktvermarktung auf 1.450 Meter Seehöhe?
Mit Facebook und Airbnb. Da schaust jetzt, oder? Mittlerweile waren Gäste aus vier Kontinenten und 60 Nationen bei uns am Bergbauernhof. Wir verkaufen unsere Produkte nur mehr über Direktvermarktung und haben mehr Anfragen, als wir bedienen können. Wir haben die Melktechnik verkauft und halten die Rinder jetzt zur Fleischerzeugung. Meine Rinder fressen statt Getreide nur mehr Grünfutter. Das schmeckt man auch, den Rosmarin und Thymian isst man bei unserem Fleisch mit. Aus den zwei Mangalitza-Ferkeln zur Selbsttherapie wurde 100 Freilandschweine, die das ganze Jahr draußen sind – das machen in der Höhenlage nicht viele. Die Schweine leben bei uns mit den Puten zusammen, die Schweine halten den Puten die Raubtiere vom Leib, und die Puten halten den Schweinen die Insekten vom Leib.
Ich habe jetzt überall gesunde Herden, es braucht nämlich, bis man lernt, wie das wirklich funktioniert. Der Tierarzt schaut jetzt nur mehr selten vorbei. Meine Tiere sind jetzt glücklich. Unser Schwein wächst dreimal so langsam wie ein konventionelles Schwein, aber das Fleisch ist gesund und ein Geschmackserlebnis. Dafür lohnt es sich, dass das Schwein dreimal so viel frisst wie ein konventionelles Schwein. Ich bin jetzt der Bauer, der ich immer sein wollte. Wir schaffen ein großartiges Leben für das Vieh und ein tolles Produkt für den Konsumenten. Das ist es, was ich will. Wir Bauern müssen wieder vielfältiger und freier werden und endlich die Pappn aufreißen.
Warum trauen sich das die wenigsten?
Weil Bauern unfrei und abhängig sind. Bauern sind Staatsangestellte, die rund 60 Prozent ihres Einkommens aus Förderungen und damit vom Steuerzahler beziehen. Aber was passiert, wenn eine Wirtschaftskrise kommt und die Steuereinnahmen wegbrechen? Das blenden die meisten Bauern aus. Wir müssen raus aus den Förderungen – das ist Schweigegeld. Ich habe das System immer wieder kritisiert, und was passiert dann? Am nächsten Tag steht ein AMA-Kontrolleur vor der Tür, und solange der dann seinen Prüfbericht nicht abgeschlossen hat, fließt auch keine Förderung, und ohne Förderung kannst du die Kreditrate nicht bedienen. Das erklärst du dann mal der Bank – und die Bank gewinnt immer.
Bei einer Dürre gehen 50 Prozent der Dürreförderung an Raiffeisen, und Raiffeisen vergibt an die Bauern verbilligte Kredit, damit die wiederum hochsubventioniertes Futter im Lagerhaus kaufen können. Der einzige Kreislauf, der in diesem irren System funktioniert, ist der vom Raiffeisen-Konzern. Ich habe meinen Förderanteil auf 20 Prozent meines Einkommens gedrückt. Die Förderung geht direkt in die Zinstilgung. Aber egal wie gut mein Bergbauernhof bewirtschaftet wird, egal wie viel Arbeit ich hineinbuttere, am Ende frisst der Kredit alles.
Du bist jetzt der Bergbauer, der Du immer sein wolltest, und stehst doch am Abgrund. Du wolltest diese Spendenkampagne für Dich am Anfang nicht. Warum jetzt doch?
Ich kann diesen Hof seit 2015 als Biobetrieb wirtschaftlich gut führen, aber ich habe keine Chance, vom Ertrag zu leben, laufend zu investieren und diesen Kredit zu bedienen. Die Schuldenlast verhindert jedes Weiterkommen. Ich verkaufe jetzt Anteile an einer Agrargemeinschaft, um von der Schuldenlast runterzukommen, aber dann bleiben immer noch 300.000 Euro übrig. Ich bin jetzt so weit gekommen, jetzt kämpfe ich auch. Mein Betrieb ist stabilisiert. Wenn ich jetzt kapituliere, bin ich einer von drei Bauern, die täglich ihren Hof aufgeben. Dann gewinnt Raiffeisen. Dann kauft ein reicher Deutscher die Gründe zur Eigenjagd, und eine holländische Kette macht aus dem Hof ein Chalet-Dorf.
Wenn Du gegen Raiffeisen verlierst, was passiert dann mit Deiner Alm?
Das, was mit allen Almen passiert: Die Alm verbuscht. Diesen Kampf um die Alm haben die meisten Bergbauern längst aufgegeben. Almwirtschaft rechnet sich nicht. Aber an der Alm hängt mein Herz, und verlieren wir die Almen, können wir im Kampf gegen den Klimawandel einpacken. Die Almen sind unsere wichtigste Ressource im Kampf gegen den Klimawandel, aber kaum einer hat die Kompetenz dafür und tut sich diese Arbeit noch an. Almwirtschaft heißt für mich, dass ich im Sommer täglich drei Stunden wie eine Bergziege auf den Beinen bin. Entweder allein oder auf einer von mir geführten Almwanderung. Die Schuldenlast erdrückt mich, aber wenn ich Menschen die Alm erkläre, bin ich bei mir. Dann weiß ich wieder, wofür das Ganze. Denn im Gegensatz zur Landwirtschaft in Gunstflächen arbeiten wir hier oben rund um die Uhr für einen Bettel.
Was sind Gunstflächen?
Die Filetstücke in der Ebene. Alles, wo man mit dem Traktor noch gut hinkommt. Die Landwirtschaft konzentriert sich nur mehr auf diese Gunstflächen. Die meisten kapitulieren und treiben die Rinder für 60 Tage raus, das reicht für die Förderung, und pflegen nur mehr, was sich mit dem Traktor befahren lässt. Aber was machen wir, wenn unten alles verdorrt? Dann gehen wir wieder auf die Alm, in die höheren, kühleren Lagen. Aber dann ist es zu spät, weil da oben keiner mehr ist, der weiß, wie Almwirtschaft funktioniert, und weil dann längst die Almen verbuscht sind. Darum gebe ich diese Alm nicht auf! Darum habe ich eine Yak-Herde auf der Alm, die fressen sich nämlich täglich durch die Kampfzone. Rinder fressen keine Heidelbeer- und Wachholderstauden, aber wenn diese Stauden nicht mehr gefressen werden, wächst kein Gras mehr, und die Alm ist verloren. Schafe und Ziegen sind unverkäuflich, mit den Fleischimporten aus Neuseeland kann kein heimischer Bauer mithalten. Aber wir brauchen die Schafe und Ziegen — sie pflegen die Alm. Aber die Hochalmen werden sich selbst überlassen oder an Gestopfte zur Eigenjagd verkauft. Die Alm rechnet sich nicht. Wenn ein Ochse nach drei Monaten von der Alm kommt, ist er fit wie ein Turnschuh, aber nicht gemästet. In unserem System zählt aber nur das Lebendgewicht zu einem bestimmten Lebenstag. Was der Ochse gefressen hat und ob er gesund ist, interessiert niemanden.
Wovon träumst Du?
Von meinem Hof und meiner Alm – aber ohne Schuldenlast. Von dem, wie meine Viecher hier oben leben. Ich will kein anderes Leben, ich bin endlich dort, wo ich immer hinwollte. Ich will, was ich weiß, auch weitergeben. Ich habe mir dieses ganze Wissen nicht angelesen und angelernt, um jetzt den Hut draufzuhauen. Ich habe nicht mein bisheriges Leben parabert, damit jetzt alles, was ich weiß, verloren geht. Klimaanpassung ist Almwirtschaft, das hat nur noch keiner kapiert.
Was braucht Du, um weitermachen zu können?
Wenn wir es schaffen, 150.000 Euro an Spenden aufzutreiben, kann ich meinen Bergbauernhof und die Alm retten. Dann muss ich immer noch einen Kredit mit rund 120.000 Euro bedienen, aber das ist zu schaffen. Dann wird mein Leben nicht im Murauer Gemeindesaal versteigert.